Die Arbeiter im Weinberg

Bildbetrachtung von Klaudia Weinreich, Acryl auf Leinwand, Maße: 0,40m x 0,40m

 

(Quelltext: Mth. 20, 1-16. Die Bibel)

Ein Arbeitgeber, ein Arbeitsmarkt mit unzähligen Menschen, die zur Verfügung stehen. Ein hochaktuelles Beispiel.
Die Arbeiter sind früh aufgestanden, um bei den ersten zu sein, die auf dem Markt stehen, um Arbeit zu finden. Vielleicht führte der Hunger dazu, dass sie ohnehin nicht lange schlafen konnten. Vielleicht haben sie Verpflichtungen gegenüber einer Familie, die von ihnen ernährt werden will.
Sie stehen und warten. Einige bekommen sofort eine Anstellung, einige etwas später. Einige stehen und warten Stunden und haben bald nur noch die nicht enden wollende Hoffnung, dass dieser Arbeitgeber, der schon früher am Tag noch ein paar Arbeiter gesucht hat, vielleicht doch noch einmal kommt - wer wartet schon bis zum späten Abend auf Anstellung? Doch nur Menschen, die es wirklich nötig haben, die es wirklich brauchen.
Aber wissen wir denn, ob sie den ganzen Tag gewartet haben? „Er sah andere da stehen" steht geschrieben. Auf was bezieht sich diese Aussage? Sind das andere Tagelöhner, die nun dort warten? Wenn ja, haben die sich den ganzen Tag amüsiert und erst abends begonnen, nach einer Anstellung zu suchen? Ich nehme an, es handelt sich um die gleichen Tagelöhner, die den ganzen Tag warteten. Auf die Frage, was sie den ganzen Tag da herumstehen, antworten sie, keine Anstellung gefunden zu haben. Sie sagen nicht, wir wollten nicht arbeiten, wir wollten uns lieber amüsieren, wir wollten das Leben genießen - sie klingen, als seien sie den ganzen Tag auf der Suche gewesen, die Hoffnung immer geringer werdend. Sie klingen, als ob sie den ganzen Tag der Hitze und den Grübeleien ausgesetzt waren - noch immer konnte die Hoffnung, die scheinbar überhaupt keine Berechtigung mehr hatte, aufgegeben werden. Vielleicht wäre das Aufgeben ihrer Hoffnung für diese Tagelöhner gleichbedeutend damit gewesen, das eigene Leben aufzugeben.
In diese hoffnungslose Gruppe kommt der Weingärtner, zu diesem elenden, vor Hunger kaum noch leistungsfähigen Haufen und bietet ihnen eine Aufgabe an - kurz vor Feierabend. Die Männer sind zu müde dafür, um eine Entlohnung zu feilschen und begnügen sich mit der ungewissen Aussage des Arbeitgebers, sie werden entlohnt mit dem, „was recht ist". Was ist denn das für eine Aussage: Was recht ist? Gemessen an was ist denn „recht"? Aber die Menschen gehen mit, wiederum in der verzweifelten Hoffnung, vielleicht doch das Minimum dessen zu bekommen, was zum Überleben notwendig ist. Sie arbeiten noch eine Stunde. In dieser Zeit leisten sie bestimmt nicht den Bärenanteil der Arbeit, die den ganzen Tag über zu tun gewesen ist. Aber es ist ein verzweifeltes Sich-Bemühen, dass die Arbeit, die sie noch zu verbringen vermögen gesehen wird, um anschließend angemessen entlohnt zu werden.
Die letzten Arbeiter bekommen zuerst ihren Lohn. Es ist für sie eine Notwendigkeit, dass sie nun so schnell wie möglich erfahren, ob und wie viel sie für ihr „Tagewerk" bekommen werden, zu erfahren, was das ist, „was recht ist". Wahrscheinlich schleichen sie resigniert, müde, hungrig und gedemütigt zum Verwalter: Was wird ihnen dieser geringe Einsatz wohl noch gebracht haben? Und hier kommt die große Überraschung: Ihr Lohn ist genauso hoch wie der Lohn derer, die zu früher Stunde das Arbeiten begonnen haben. Sie können es kaum glauben - das lange Bangen und Warten des Tages, die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit - alles fällt von ihnen ab und der Funke Hoffnung, der sie den ganzen Tag zum Durchhalten gezwungen hat wird zu einem Feuer der Freude, der Dankbarkeit und des Überschwangs.
Die frühen Arbeiter werden neidisch und beginnen zu murren - auf den ersten Blick verständlich.
Interessanter Weise wird die Gruppe der ersten Arbeiter als zusammengehörig dargestellt - es ist nicht ein Einzelner, der murrt, sondern „die ersten Arbeiter" als Gemeinschaft murren. Sie fühlen sich miteinander verbunden, weil sie den ganzen Tag miteinander für ein gemeinsames Ziel gearbeitet haben: Die Bestellung des Weinbergs. Und sie fühlen sich gemeinsam als Gruppe ungerecht behandelt gegenüber denjenigen, die erst spät für das gleiche Ziel zu arbeiten begannen. Sie empfinden eine große Ungerechtigkeit, die sich, wenn wir die Geschichte lesen, auch sofort nachvollziehen läßt.
Aber was ist denn Gerechtigkeit wirklich? Läßt sich Gerechtigkeit im direkten Vergleich finden? Selbst, wenn der Vergleich der Arbeitszeit relativ gerecht erscheint - der eine arbeitet vielleicht schneller und härter, der andere ist langsamer und träger. Der eine ist sehr gewissenhaft und ordentlich, der andere ist vielleicht großzügiger in der Ausführung seiner Tätigkeit - haben sie also alle das Gleiche verdient? Und wer sollte das bewerten? Die Mitarbeiter? Der Arbeitgeber, der ja zwischenzeitlich immer wieder abwesend war, um neue Arbeiter einzustellen? Der Verwalter? Vielleicht gab es ja den ganzen Tag schon solche Rivalitäten, wurde zum Nachbarn geschielt, ob der nur ja auch genügend leistet - schließlich soll der ja am Abend das Gleiche bekommen wie man selbst.
Aber wenn Jesus in dieser Geschichte die Gerechtigkeit auf das Ganze gesehen darstellt, dann müssen wir fragen: Wie haben denn diese beiden Gruppen in der Geschichte ihren Tag verbracht?

Gemessen an den seelischen Tiefen, durch die die letzten Arbeiter an diesem Tag gehen mussten, waren die Arbeiter, die am frühen morgen ihr Werk begannen den ganzen Tag behütet und bewahrt. Sie waren in Sicherheit - wenn der Hunger noch so sehr quälte, die Glieder schmerzten, der Durst sie peinigte - sie hatten das Wissen, dass sie abends ihre Bedürfnisse befriedigen werden können, dass ihr Überleben für diesen und wahrscheinlich auch den nächsten Tag gesichert sein würde. Sie waren den ganzen Tag sinnvoll beschäftigt und mussten sich nicht der existentiellen Frage nach dem Überleben stellen.
Die andere Gruppe der späten Arbeiter verbrachte den Tag, indem sie auf dem Markt herumstand, feststellte, dass der Hunger immer unerträglicher wurde, immer deutlicher spürend, wie sich die Verzweiflung ausbreitet, hochsteigt, die Sinnlosigkeit des Daseins und der Fluch und die Ungerechtigkeit des Nicht-Habens gegen die nicht enden wollende Hoffnung wiegen.

Aber das sehen die frühen Arbeiter nicht. Sie sehen nur das Ergebnis: Gleicher Lohn für unterschiedliche Arbeitszeit.


Wer kann ermessen, wie anstrengend ein Leben in dem Wissen ist, etwas zu bedürfen, das nicht gestillt wird, das ständige Suchen, dieser schon fast verfluchte letzte Funken Hoffnung, der immer wieder am Aufgeben hindert, die damit verbundene Verzweiflung. Dann das weitere Überleben, das phasenweise nichts mit Leben zu tun zu haben scheint, das demütigende und erniedrigende Gefühl, nicht das zu vermögen, was nötig zu sein scheint.
So müssen sich die Tagelöhner am Markt gefühlt haben. So müssen sich Menschen fühlen, die nicht „einfältig" an Gnade glauben können, die sich immerzu etwas verdient-haben müssen oder kritisch alles begreifen wollen. Welch Niederlagen sind damit verbunden, nicht begreifen zu können, weil der Verstand zu klein ist oder das Leben zu übermächtig. Welch Niederlage, wenn das eigene Bemühen, immer wieder zurückgeworfen auf sich selbst, versickert im eigenen Unvermögen oder im Leid der Welt, wenn der Sinn der eigenen Existenz nicht aus der eigenen Existenz heraus gefunden werden kann. Was für ein Schmerz, sich eingestehen zu müssen, es selbst nicht zu schaffen, angewiesen zu sein auf Hilfe von außen, - auf Gnade - ,verbunden mit dem Bangen, wieder nichts finden zu können.
Warum standen die letzten Arbeiter noch kurz vor „Toresschluss" auf dem Marktplatz? War es ihr unerschütterlicher Glaube an Gottes Gnade? Nein, ich denke nicht, denn die späten Arbeiter unterscheiden sich in ihrem Menschsein nicht von den frühen Arbeitern. Und diese frühen Arbeiter haben ja zutiefst menschlich reagiert: „Wir wollen mehr als die anderen, das ist ungerecht." Es gab keinen Grund für die späten Arbeiter, anzunehmen oder zu hoffen, dass sie noch eine gute Entlohnung bekommen würden - ich nehme an, manche hätten es von sich aus noch nicht einmal gewagt, sich so viel Lohn -für eine Stunde Arbeit - zuzugestehen.
Ich denke, es war die Verzweiflung, die sie bis kurz vor Feierabend am Markt ausharren ließ. Die bittere Notwendigkeit, etwas bekommen zu müssen, das Wissen darum, dass, wenn sie den letzten Funken Hoffnung los lassen, sie gleichermaßen ihr Leben verlieren werden. Es war die Einsicht, nirgends hingehen zu können, wo sie eher das bekommen würden, was sie brauchen, auch wenn eigentlich keine Chance vorhanden war, das überhaupt noch zu bekommen. Es war die Notwendigkeit der Erfüllung ihrer Sehnsucht, die sie dazu trieb, das Warten oder Suchen nicht aufzugeben. Ein nicht anders können, als doch noch die Antwort finden zu müssen.

In dieser Geschichte wird uns mit Kraft vermittelt, dass die „Gewinner" dieser Geschichte die Arbeiter der frühen Stunde waren. Und uns wird vermittelt, dass wir uns nicht mit unserem begrenzten Beurteilungsvermögen vergleichen sollen mit unseren Mitmenschen. Wir können weder unser eigenes Sein und Tun, noch das der anderen ermessen oder gar bewerten. Denn im Vergleich werden wir immer nur Schaden nehmen können an unserem Seelenfrieden, an unserer inneren Harmonie und Versöhnung mit uns selbst - davon scheint der Weingärtner zu wissen, wenn er fragt, ob die frühen Arbeiter nicht „eins" mit ihm geworden wären bezüglich des Groschens als Entlohnung und wenn er treffend fragt: „Siehest du darum scheel, dass ich so gütig bin?" Wie lässt es sich für den Menschen ertragen, auf die eigene Begrenztheit gestoßen zu werden? Erst recht, wenn das eigene Recht - Haben doch auf der Hand zu liegen scheint! Und doch: Wie kleinlich und wie falsch war die Bewertung der frühen Arbeiter bezüglich des gleichen Lohns, wenn sie nicht mehr ausschließlich im Kontext der Arbeitsleistung gesehen wird.

 

Es handelt sich um ein durch die leidenschaftliche Farbwahl ins Auge fallendes Bild, auf dem mittig eine in Rottönen gemalte Gestalt zu sehen ist. Rechts hinter der Gestalt ist ein brauner Schatten zu erkennen. Links von der Gestalt sind grobe gelbe senkrechte Striche zu sehen. Diese grenzen an eine ebenfalls senkrecht durchgehende braune Farbfläche, mit der das Bild nach links abschließt.
Der braune Schatten rechts hinter der Figur wiederholt sich nach rechts abschließend. In diesem Farbfeld ist als regelmäßige Struktur eine gebeugte Menschengruppe zu erkennen. Hierbei handelt es sich um die frühen Arbeiter im Weinberg.

Die Gestalt im Vordergrund wird durch die Struktur stehen gelassener Farbe dreidimensional. Plastizität des Menschen, Betonung der Körperlichkeit, Farbigkeit verweist auf seelischen Zustand.

Es sind schwere Hände, Arbeiterhände. Die Gestalt ist ausgemergelt. Sie scheint den Hunger zu kennen. Der Körper ist nicht klar abgegrenzt. Das Skelett tritt im Körper hervor, der Körper vermengt sich mit der Strichführung und den Farben des gesamten Bildes. Klare, kräftige Strichführung, statisch von oben nach unten. Die Gestalt scheint ein Feuer um sich zu haben. Braun, Erdigkeit, Erdverbundenheit, Einfachheit. Er stellt sich nicht der intellektuellen Frage nach dem Sinn des Lebens, er stellt diese Frage existentiell - mit seinem ganzen Sein. Nur das Auge ist grün. Die Hoffnung, das Auge als „Spiegel der Seele". Das Auge, das klar zu sehen vermag, das „vorausschaut". Der Schatten attribuiert die Gestalt als Arbeiter, Tagelöhner. Der Mensch, der gerne dazu gehören würde, der gerne mit den anderen zusammen arbeiten würde. Der Mensch, der genau dieses aber nicht kann. Er wurde nicht dazu gerufen - und selbst wenn er noch zu den anderen hinzu kommen kann - er wird nicht mehr bei den ersten sein, er wird nicht mehr zu deren Gemeinschaft gehören. Der Mensch leidet. Die Farben sind leuchtend, leidenschaftlich, anrührend.

Aus dem Schatten „tropft" die Hoffnung. Sie hat mit der Gestalt selbst keinen Kontakt, nur mit dem Schatten der Gestalt. Der „Schatten" kann der Schatten der Gestalt sein, es könnte sich aber auch um einen weiteren Arbeitslosen handeln.

Die Synchronität des „Sich bückens" bei den Arbeitern lässt den Schluss zu, dass zwischen diesen ein Übereinkommen besteht, eine Gemeinschaft, eine Verbindung und Verbindlichkeit. Diese Arbeiter erscheinen nicht individuell. Sie wirken gestaffelt, einheitlich in ihrem Tun. Zum einen wird damit der Gedanke an Harmonie evoziert, zum anderen reizt es zum „Widerspruch", zum „Sich auflehnen". Es erinnert weniger an individuelle und intelligente Menschen, als mehr an Ochsen, die das Feld pflügen, ohne je zu Fragen, zu welchem Zweck sie dieses tun.

Diese Menschen grenzen sich ab, von den Menschen, die nicht mitarbeiten. Keine Selbstdefinition, sondern Definition über eine Gruppenzugehörigkeit. Keine Notwendigkeit der Selbstreflexion.

Gelb steht für Gott, aber auch für menschliche Erkenntnisfähigkeit. Dieses Gelb trifft auf der rechten Bildseite stark kräftig auf das Rotbraun. So wird farblich die Frage nach der Erkenntnisfähigkeit des Menschen nochmals gestellt. Die Gestalt im Vordergrund grenzt links im Bild an das Gelb an, ebenso scheint das Gelb durch den Körper der Gestalt hindurchzuleuchten. Ist es die Erkenntnisfähigkeit, die ihn von den anderen Arbeitern trennt? Oder hat er eine existentiellere Erkenntnisfähigkeit, weil er von den anderen getrennt ist? Ist der Mensch einsam, weil er anders ist, als die anderen Arbeiter? Oder ist er nur einsam, weil er eben arbeitslos ist? Weil er keiner Aufgabe nachgehen kann, die ihm ermöglicht, seine Sehnsucht zu stillen? Haben die anderen Arbeiter vielleicht auch eine Sehnsucht, die sie aber stillen können, weil sie eine Aufgabe haben?
Der Arbeitslose wirkt einsam. Er steht im Vordergrund, die Gestalten rechts im Bild sind viel kleiner.
Man weiß nicht, ob der Schatten auch so da steht, wie die Gestalt im Vordergrund. Vielleicht ist es ein weiterer Arbeitsloser, der sich nun zum Gehen abgewandt hat.

Arbeitslosigkeit - keine Chance, dazu gehören zu können, keine anerkannte Aufgabe, keinen Platz in der Gesellschaft...
Auf dem Bild schreit uns ein Mensch an, der seinen Platz in der Gesellschaft nicht gefunden hat. Sein Skelett leuchtet durch den Körper hindurch - er scheint am Verhungern zu sein. Ein Mensch, der keine Aufgabe findet, der sich nicht gebraucht fühlt, der sich als „Überschuss" und „Looser" wahrnimmt, verhungert an Leib und Seele. Er vereinsamt.