Drei Tage Fisch oder Jonas Innenschau

Bildbetrachtung von Klaudia Weinreich, Acryl auf Leinwand, Maße: 0,70m x 1,20m

Die Geschichte von Jona handelt von einem Menschen, der in einen Konflikt gerät, in eine innere Spannung zwischen einem Sollen und einem Wollen - und damit handelt sie eben nicht nur allein von der Person Jona.

Obwohl dieser Mensch „weiß", was er zu tun hat, will er genau dieses nicht - er will etwas ganz anderes. Sowohl sein Selbst-Verständnis als auch seine (Sich-) Selbst-Verständlichkeit geraten ins Wanken.
Jona beginnt, vor sich und seinem inneren „Sollen" wegzulaufen. Dabei gerät alles um ihn her durcheinander.
Er leidet unter sich und seinem inneren Konflikt und auch seine Beziehungen zu den anderen Menschen leiden.
Bis zu dem Punkt, an dem er es wagt, weil es nicht mehr anders möglich ist, sich selbst zu begegnen.
Gezwungen zu einem „Innehalten", zu einer „Einkehr" beginnt er, sich dem zu stellen, was ihn antreibt - seinen Ängsten.

Davon berichtet das Bild:
Das auf den ersten Blick dunkel - melancholisch - wirkende Blau des Bildes ist von hervorleuchtenden Farben gebrochen.
Steht das dunkle Blau für Distanz, Schwere und die Last des Daseins, so symbolisiert das Rot Energie, Kraft und Leidenschaft. Es leuchtet als spitze From aus dem Bild hervor und wirkt dadurch auch etwas gefährlich. So spielt die Formgebung mit der Bedeutung der Farbe: Leidenschaften sind in der Lage, Spannungen zu schaffen und damit auch Leiden zu verursachen.
Auch lässt sich ein Ockerbraun finden, das für Erdigkeit und Bodenständigkeit steht und darauf hinweist, daß dieser Mensch genügend Anteile in sich trägt, um das Leben bewältigen zu können.
  Weiß wird sichtbar: Weiß, die Farbe symbolisiert hier die Möglichkeiten, die das eigene Dasein bietet: Alles kann möglich sein, nichts ist abschließend und einfach festlegbar - das Leben ist zugleich ein Sein als auch ein weiteres Werden.

Diese Farben sind in groben Zügen aufgetragen, sind vorhanden, ohne sich als genau definierte Form und Abgrenzung zueinander zu verhalten.
Sie gehen teilweise ineinander über, scheinen sich gegenseitig zu sprengen, ebenso wie sie sich auch gegenseitig verdecken, überlagern.
Keine Farbe wäre in ihrer Wirkung gleichermaßen ohne eine der anderen Farben - sie stehen in einem Verhältnis zueinander und bewirken den Gesamteindruck, so wie die Gesamtheit der persönlichen Eigenschaften erst die Persönlichkeit gestaltet und wirken lässt.

Genau festgelegt sind dagegen 40 kleine, abwechselnd türkisfarbene und dunkelblaue Rechtecke am rechten Bildrand.
Die Farbe Türkis enthält Grünanteile, die hier die Hoffnung in einem Bangen symbolisieren sollen.
Die Geschichte von dem Propheten Jona im Walfisch berichtet, daß Jona, nachdem er seinen „Auftrag" - den Untergang Ninives anzukündigen - erfüllt hatte, 40 Tage lang vor Ort verharrte, um zu sehen, was weiter geschehen würde. Es war eine Zeit intensiver Zweifel über sich, über das, was er als Wahrheit anerkannte und über den Sinn des Lebens.

Diese zeitlich später liegenden 40 Tage sind in dem Bild bereits vorweggenommen, denn sie spiegeln die Fragen wider, denen sich dieser Mensch in der Zeit seiner inneren Einkehr - 3 Tage Fisch - stellen muss:

„Wer bin ich?" und

„Was ist der Sinn meines Lebens, meines Daseins und meines So- und nicht Anders-Seins?"

Genauso spiegeln sie aber auch die Zweifel des Menschen wider:
„Ist das, von dem ich denke es sei sinnvoll und wahr, wirklich sinnvoll und wahr?", ebenso die Ängste:

„Wer bin ich vor den Anderen?" und:

„Wieviel Macht gebe ich meinen Ängsten und Zweifeln über mein Leben?"

Jona muss sich der liebevollen Ansprache an seine Existenz stellen:

„Lieber Jona, wie sonst soll der Mensch leben, wenn nicht so, wie es ihm entspricht?
Warum sonst hat Noah eine Arche gebaut - in der Wüste?
Warum sonst hat Simeon sein Leben lang auf das Zusammentreffen mit Christus gewartet?
Was sonst soll der „Auftrag Gottes" an dich sein, wenn nicht ein „verdichtetes Gefühl", ein innerer Plan, eine innere Gewissheit, dass etwas „dran" ist, dass der „Kairos" - das unwiederbringliche Moment des bestimmten Geschehens - gekommen ist - und niemand außer dir selbst wird du sein oder du werden. Für genau diese Aufgabe gibt es genau deshalb wirklich nur dich. Das macht dich aus, das macht den Sinn deines Lebens aus!
Lass es dir doch sagen!"
Mensch-Sein unabhängig von der Bewertung durch die Anderen, gleichermaßen Mensch-Sein ohne die oft spannungsvolle Bewertung durch sich selbst ist unmöglich.
Dennoch, die Erfahrung, sich selbst zu begegnen und die Erfahrung, sich selbst zu bejahen - in der Geschichte die Bejahung des Daseins der Person Jona durch Gott selbst - erst diese Erfahrung macht Freiheit möglich.

Freiheit, die sich nicht binden lässt in und von den inneren Ängsten und Befürchtungen, Eitelkeiten und Sehnsüchten.

Freiheit, die das Leben bejahen lehrt und überhaupt erst möglich macht.

Freiheit, die ein Loslassen von den eigenen starren Vorstellungen über sich selbst, über den Anderen und über das Leben ermöglicht - Freiheit, ein lebenslanges Lernen.